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Die Maßnahmen gegen das Corona-Virus würden nur Menschen retten, die aufgrund ihres Alters sowieso bald sterben müssen, erklärte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der Publizist Jakob Augstein meinte, nur eine Minderheit sei ernsthaft gefährdet: „Die Politik hat beschlossen, zugunsten dieser Minderheit der Mehrheit sehr schwere Lasten aufzubürden.“ So schlimm sei das Virus nicht, gefährdet seien vor allem die Alten, schrieb Anselm Lenz, Organisator der ersten Proteste gegen Corona-Maßnahmen.
In einer Gesellschaft, in der alle in Konkurrenz zueinanderstehen und ständig Gewinner:innen und Verlierer:innen sortiert werden, ist Sozialdarwinismus die halbbewusste Alltagsreligion. Seit Jahrzehnten erklärt der australische Bioethiker Peter Singer Behinderte, Demente und Neugeborene für Menschen zweiter Klasse, verharmlost Euthanasie als Erlösung und empfiehlt sie, um Geld zu sparen. Thilo Sarrazin behauptet Migrant:innen und Hartz-IV-Empfänger:innen hätten minderwertiges Erbgut. Der Staat solle bio-deutschen Frauen aus der akademischen Mittelschicht mehr Geld geben, damit sie neben Studium und Karriere Kinder kriegen. Die Giordano-Bruno-Stiftung beschreibt in ihrem „Manifest für einen evolutionären Humanismus“ (2005) den Menschen als Bioroboter, preist Kapitalismus als natürliche Wirtschaftsweise und bezeichnet es als männliches Vorrecht Sex mit vielen Frauen haben zu können, abgeleitet aus der Größe der Hoden.
Solche Stimmen kommen nicht von genuin rechten Personen und Gruppen: Palmer gehört den Grünen an. Sarrazin trieb als SPD-Finanzsenator in Berlin den Sozialabbau voran, Singer ist prominenter Vordenker des Veganismus und plädiert für eine darwinistische Linke, die Ungleichheit als natürlich akzeptieren soll. Die Giordano-Bruno-Stiftung, die Singer mit einem Ethik-Preis auszeichnete, organisiert antiklerikale Kampagnen und versteht sich als linksliberal.
Sie alle sind Wiedergänger einer darwinistischen ‚Linken‘, deren Geschichte und Gegenwart der Referent Peter Bierl in seinem neuen Buch „Unmenschlichkeit als Programm“ seziert. In dieser Veranstaltung skizziert und diskutiert er seine Befunde.
Peter Bierl arbeitet als freier Journalist. Zuletzt veröffentlichte er „Die Legende von den Strippenziehern. Verschwörungsdenken im Zeitalter des Wassermanns“ (2021), „Die Revolution ist großartig. Was Rosa Luxemburg uns heute noch zu sagen hat“ (2020), „Keine Heimat nirgendwo. Eine linke Kritik der Heimatliebe“ (2020) sowie das „Einmaleins der Kapitalismuskritik“ (2018).
Link zur Veranstaltung: https://sachsen.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/IBQYD/das-comeback-von-sozialdarwinismus-und-biologismus
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