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Mit Cordula Trunk
Von Frau zu Flinta*[1] und zurück? Der Streit um das politische Subjekt Frau zieht sich durch die Geschichte der feministischen Bewegung wie ein roter Faden. In den 1970er-Jahren begaben sich Frauen in sogenannten „Selbsterfahrungsgruppen“ auf die Suche danach, was es überhaupt heißt eine „Frau zu sein“.
Das Ergebnis des kommunikativen Austausches war ein vereinigendes Moment, ein Gefühl dazu zu gehören. Es entstand über die gemeinsame Erfahrung der geteilten Betroffenheit durch sexuelle und intellektuelle Unterdrückung, die umfassende Zuständigkeit für Hausarbeit und Kindererziehung, häusliche Gewalt und triste Berufsaussichten. Dem kommunikativen Austausch der Unterdrückungserfahrungen entsprang die Erkenntnis, dass sich Frauen zusammenschließen müssen, um gemeinsam gegen die gesellschaftliche Diskriminierung vorzugehen: Sie fanden sich in einem feministischen „Wir Frauen“, um gegen das Patriarchat zu kämpfen.
Dieses Kollektivsubjekt Frau entfaltete enorme Mobilisierungskraft und der Protest der Neuen Frauenbewegung veränderte die deutsche Gesellschaft nachhaltig. Doch wer kämpfte hier eigentlich für wen? Die Anfangseuphorie, die der Moment der Vereinigung auf ein Kollektivsubjekt innehatte, lies immer mehr nach und die Differenzen zwischen den Frauen traten in den Vordergrund. Das politische Subjekt Frau wurde aus verschiedenen Richtungen kritisiert: Lesben, Prololesben, Krüppellesben, autonom organisierte Frauen, jüdische Frauen, Schwarze Frauen und Migrant*innen – sie alle machten deutlich, dass ihre Erfahrung und Lebensrealitäten in dem als weiß, heterosexuell und bürgerlich imaginierten politischen Subjekt Frauen ausgeschlossen waren.
Zusätzlich institutionalisierte und akademisierte sich die Bewegung und entfernte sich zunehmend von ihren Ursprüngen als Basisbewegung, die eine Stellvertreter*innenpolitik und innere Hierarchien ablehnte. In den 1990er-Jahren explodierte mit der Sex-Gender-Debatte der Streit endgültig. Auslöser der Debatte war Judith Butlers Buch Gender Trouble, das die theoretischen und politischen Auseinandersetzungen nachhaltig veränderte und den deutschen Feminismus mit der Queer Theory konfrontierte.
Diese neueren Theorien dekonstruierten und flexibilisierten das Kollektivsubjekt Frau, welches an die Vorstellung der Stabilität und Konstanz des Frau-Seins gebunden war und nun in gewisser Weise aufgelöst wurde. Nach der Kritik an dem Subjekt wurde nun die Basis – die Frau an sich – in Frage gestellt. Spätestens ab den 2000er-Jahren gab es auch in Deutschland Debatten um inter-Personen, Transinklusion und -exklusion. Trans-Frauen kritisierten wiederum, dass sie im Subjekt Frau nicht mitgemeint seien und litten unter Benachteiligung, prekären Existenzen und massiver transfeindlicher Gewalt. Bis heute kämpfen sie um ihre Akzeptanz und Position innerhalb des Feminismus. Der Vortrag beleuchtet die Geschichte der feministischen Bewegung anhand der Konflikte um das politische Subjekt Frau. Doch warum wird immer wieder über das Subjekt gestritten? Was hat es mit dem Subjekt auf sich, dass es immer wieder zentraler Diskussionspunkt innerhalb der feministischen Bewegungen ist?
Der Vortrag basiert auf der Dissertation von Cordula Trunk, in der sie die Subjektbegriffe der deutschen feministischen Bewegungen anhand zweier zentraler Debatten erforscht: Der Sex-Gender-Debatte (1993) und der Queer vs. Feminismus-Debatte (2011). Vom Kollektivsubjekt Frau, zu queeren Subjekten, hin zu aktuellen Subjektkonstruktionen fragt sie: Wie ist Emanzipation und Widerstand gegen Ausbeutung und Herrschaft in den jeweiligen Subjekt-Begriffen denkbar? Ziel ist es, sich der eigenen feministischen Geschichte ein wenig mehr bewusst zu werden und daraus Wissen und Kraft für den Streit um eine bessere Zukunft für alle zu ziehen.
[1] Flinta* ist ein Akronym für Frauen, Lesben, inter-, nicht-binär, trans-, und agender Personen. Der Asterix steht für die Unabgeschlossenheit der Kategorien.
Cordula Trunk promoviert in Leipzig interdisziplinär in der Philosophie und der Kulturgeschichte zur Frage des Feministischen Subjekts und den Möglichkeiten von Emanzipation und Widerstand. Sie hat in Bayreuth, Barcelona und Leipzig Ökonomie, Philosophie und Kulturwissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren in der feministischen und antifaschistischen Bewegung engagiert. Theorie und Praxis gehören für sie dabei untrennbar zusammen. Zuletzt hat sie mit ihrem Theoriekollektiv MF3000 das Buch „Ändern wir die Welt, sie braucht es!“ im Querverlag publiziert.
In ihrer Rolle als Vortragende und Forscher*in ist ihr Pronomen sie.
Veranstaltende Gruppe: Feministischer Streik Leipzig
Sprache des Events: Deutsch
Eintritt: kostenlos / auf Spendenbasis
Zielgruppe: all gender
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