Deutsche Einheit ohne Gleichberechtigung? Zur Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch 1990 – 1995

Wann

Donnerstag - 06.02.2025
19:00 Uhr  

Wo

Frauenkultur Leipzig
Windscheidstr. 51, Leipzig, 04277

Rollstuhlgerecht? Ja
Details

mit Prof. Dr. ULRIKE LEMBKE, Freie Rechtswissenschaftlerin, Berlin

 

Im Jahr 1989 hatte die Bundesrepublik ein markantes Modernisierungsdefizit: in Fragen von Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit lag sie hinter anderen westeuropäischen Staaten deutlich zurück. Der Prozess der Deutschen Einheit wäre eine Chance gewesen, nicht nur Demokratie und Rechtsstaat in den Osten zu bringen, sondern auch mehr Gleichberechtigung in den Westen. Über entsprechende Forderungen der ostdeutschen wie westdeutschen Frauenbewegungen wurde aber hinweggegangen.

 

Ein Thema wurde allerdings intensiv und sehr kontrovers diskutiert: die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. In der DDR galt seit 1972 eine Fristenregelung, in der BRD seit 1976 eine verwirrende Indikationenregelung, die erheblich unter Druck stand (Prozess von Memmingen). In beiden deutschen Staaten war die Mehrheit der Bevölkerung für eine Fristenregelung. Zum Erstaunen westdeutscher Politiker äußerten sich auch ostdeutsche Männer, Ost-CDU-Mitglieder und kirchliche Kreise entsprechend. Die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs wurde schließlich – als einzige frauenpolitische Frage – in den Einigungsvertrag aufgenommen und führte zu einigen Gegenstimmen im Bundestag.

 

Doch dann nahm die gesamte Debatte eine andere Wende. In wenigen Jahren wurden nicht nur die DDR-Fristenregelung und der gesamtdeutsche Kompromiss vom 26. Juni 1992 für verfassungswidrig erklärt. Anhand des Schwangerschaftsabbruchs wurden sämtliche DDR-Gleichstellungspolitiken, aber auch alle Forderungen der ostdeutschen Frauenbewegung als DDR-Unrecht abgetan. Die alte Bundesrepublik konnte so ihr Gleichstellungsdefizit bis ins 21. Jahrhundert retten. Und in Ostdeutschland wurde das sozialistische Patriarchat durch ein kapitalistisches abgelöst.

Heute sind Gleichstellungspolitiken und Geschlechtergerechtigkeit wieder unter enormem Druck von rechts außen bis in die Mitte demokratischer Parteien. Die Erinnerung an intensive politische Kämpfe kann vielleicht auch für die Gegenwart helfen. Immerhin ist die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs wieder aktuelles politisches Thema.

Link zur Veranstaltung: https://www.frauenkultur-leipzig.de/programm/

Veranstaltende Gruppe: Frauenkultur e.V.

Eintritt: Eintritt: 4,- | 2,- Euro ermäßigt

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